Hüsch songs of heimat volkslieder deutschfolk thüringen mundart tim liebert nico schneider hanna flock joachim rosenbrück waldzither folk

„Wer empfänglich für andere Kulturen sein will, muss erst mal selbst eine haben.“ HüSCH! und gesellschaftliche Relevanz. Ein Interview.

Interview mit Nico Schneider von HüSCH! über die Notwendigkeit, das deutsche Identitätsfeld positiv zu besetzen.

Erschienen im Stadtmagazin Halle/Saale „Frizz“ 07/17 

 

Hat man sensible Antennen für gesellschaftliche Entwicklungen, dann springt bei Ihrer Band „HüSCH!“,sofort eine Thematik ins Auge. Um das Thema so aufzugreifen: Müssen wir Begriffe wie Heimat in globalisierten und digitalisierten Zeiten mit progressiven Inhalten füllen?

Zurzeit ist es tatsächlich so, dass Begriffe wie „Heimat“ und auch das Wiederbeleben bzw. Erhalten und Erneuern von Traditionen negativ belegt sind und von diversen rechtspopulistischen Parteien missbraucht werden. Deswegen muss man bei der Wortwahl extrem aufpassen, um nicht missverstanden und im falschen Lager verortet zu werden. Der Untertitel unseres Programmes heißt deswegen auch „Songs of Heimat“. Die englischen Worte entschärfen das Ganze und deuten schon unseren globalen Ansatz, lokale Musik zu interpretieren, an.

Spüren Sie bei Konzerten, dass rechtes Klientel um Anschluss bemüht ist?

Das haben wir tatsächlich in dieser Form noch nicht erlebt. Ich glaube, für Rechte ist unser Ansatz viel zu weltmusikalisch und alternativ. Sollte sich aber doch mal einer in unser Konzert verirren, wird er wahrscheinlich schon bei den bunten Tüchern unserer Sängerin Hanna oder den Jesuslatschen und dem Rauschebart von Tim Liebert erahnen können, dass er in uns keine Gesinnungsgenossen findet. Spätestens bei den Ansagen wird er merken, dass er hier völlig fehl am Platze ist. Wir verstehen uns im Grunde aber nicht als politische Band. Wenn wir eine politische oder gesellschaftliche Message haben, dann die: Um weltoffen, tolerant und empfänglich anderen Kulturen gegenüber zu sein, muss man selbst erstmal eine Kultur haben. Dazu gehört unserer Meinung nach eben auch eine eigene gelebte Musiktradition.

Gibt es in der Folk- oder auch Liedermacherszene ernsthafte Bemühungen, das deutsche Identitätsfeld positiv und international zu besetzen?

Da passiert tatsächlich in letzter Zeit ziemlich viel. Es gibt Bands wie „Bube, Dame, König“ aus Halle, die sich ausschließlich dem Volkslied widmen und viele Kollegen haben seit Neuestem zumindest eine Zweitband, in der sie versuchen, sich dem eigenen Liedgut zu nähern. Sehr spannend sind in dieser Hinsicht auch die Projekte ausländischer Musiker wie die CD „Geisterbahn“, auf der englische Sänger deutsche Volkslieder interpretieren oder der Dokumentarfilm „Sound of Heimat“ eines Neuseeländers auf der Suche nach der wahren „German Folkmusic“, abseits der Stadl- und Schlagerwelten.

Stadl- und Schlagerwelten: Diese Assoziationen erschweren ihr Projekt sehr, oder?

Das ist wohl auch eines der größten Probleme, dass alleine bei dem Wort „Volksmusik“ die meisten wohl an diverse schlechte Fernsehunterhaltungssendungen mit Dirndlmoderatorinnen und albern grinsenden Playbacktrompetern denken. Dabei hat das, was dort gebracht wird, mit echter Volksmusik wenig zu tun.

In der DDR war das anders?

Da wurde die eigene Folklore ja sogar staatlich gefördert. Sicher nicht immer ohne politische Hintergedanken. Die Deutschfolk-Szene hatte ihre Blüte Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre. Wir haben uns sehr gefreut, als das Malzhaus Plauen über uns schrieb: „Sie sind das Beste, seit Folkländer und Wachholder die Folkbühne verließen“, waren diese Bands doch in der DDR für die große Popularität dieser Musik verantwortlich.

Wo finden Sie die alten Lieder? Sie dichten sie auch um?

Ein Teil unseres Programms besteht aus altbekannten Liedern, die man in jedem Liederbuch findet, die wir allerdings so interpretieren, dass sie trotzdem etwas Neues bieten. Das Schöne dabei ist, dass oft Teile des Publikums mitsingen können. Der soziale Aspekt ist ein ganz wesentlicher Bestandteil jeglicher Art von Folklore. Der andere Teil sind meist unbekannte Stücke, die wir zum Teil in Archiven oder Museen finden. Manchmal gibt es sogar nur mündliche Überlieferungen, die wir in unseren Herkunftsorten gesammelt haben. Wir behalten uns vor, Texte und Melodien zu ändern, da auch das schon immer Bestandteil einer lebendigen Tradition war. So ersetzen wir z.B. Worte, die heute nicht mehr gebräuchlich sind gegen zeitgemäßere.

Redet man von Traditionspflege, dann redet man in Ihrem Sinne also immer von einem aktualisierenden Umgang, dann redet man immer auch vom Wandel?

Das ist unsere Art damit umzugehen, um die Musik am Leben zu erhalten. Natürlich gibt es auch andere Formen. Das Wissen darum, wie die Musik früher geklungen hat, ist genauso wichtig. Die meisten Chöre singen die alten Lieder noch so wie vor 100 Jahren und werden das wohl auch noch eine Weile tun. Das würde ich als Traditionspflege bezeichnen. Das was wir machen, ist wohl eher Traditionserneuerung.

Können Sie die gegenwärtige Relevanz, die in „HüSCH!“ liegt, an Konzerterfahrungen plastisch machen?

Wir sind immer wieder überrascht, in wie vielen unterschiedlichen Bevölkerungsschichten wir da offensichtlich eine „Saite anschlagen“. Da schreibt z. B. ein 14-jähriges Mädchen auf Facebook, dass ihm die Lieder, die es in der Schule ätzend fand, dank uns wieder gefallen oder die Rentnerin, die nach dem Konzert in Tränen aufgelöst berichtet, dass sie ein bestimmtes Lied das letzte Mal von ihrer Großmutter im Krieg gehört hat, oder der Metalfan, der nach der Trennung von seiner Freundin nachts unsere CD hört, aber auch die Amerikanerin, die unser Konzert zum Höhepunkt ihres Deutschlandbesuchs erklärt. Am Ende eines Konzertes singen wir immer ein Lied gemeinsam mit dem Publikum, ohne Mikrofone, und man spürt förmlich die Erleichterung und auch Freude über die Erkenntnis: Ja, auch bei uns gibt es schöne Lieder und man darf sie auch singen! Nicht aus nationaler Überheblichkeit heraus, sondern als Ausdrucksform einer regionalen Kultur in einer globalisierten Welt.